Panorama

Pro Jahr Hunderte Euro sparen Wasserrecycling als Antwort auf Europas Dürren?

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Der Wasserstand im spanischen Sau-Stausee nördlich von Barcelona ist so tief gesunken, dass eine normalerweise überflutete mittelalterliche Kirche wieder zu sehen ist.

(Foto: picture alliance / abaca)

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Südwesteuropa und Nordafrika leiden bereits im April unter einer Hitzewelle mit Rekordtemperaturen um die 40 Grad. In vielen Ländern ist Wasser Mangelware. Auch in Deutschland sind die Böden teils ausgetrocknet. Mit Wasserrecycling lässt sich über 50 Prozent wertvolles Trinkwasser einsparen.

Der Gardasee, der größte See Italiens, sieht teils aus wie eine Mondlandschaft: Wo normalerweise das Wasser steht, sind jetzt nur noch trockene Steinflächen zu sehen. Die Insel San Biagio mitten im See können Besucher statt mit dem Boot nun zu Fuß erreichen. Der Wasserpegel ist extrem niedrig, Ende April erreichte er den tiefsten Wasserstand seit 70 Jahren.

Auch Italiens größter Fluss Po hat immer weniger Wasser. Der vergangene Sommer war viel zu trocken, in diesem wird es wahrscheinlich ähnlich, befürchten Experten. Die Dürre bedroht die Schifffahrt, den Tourismus und die Landwirtschaft. Die Erde ist ausgetrocknet, die Bäume sind in einer Art "Stand-By-Zustand". Die sintflutartigen Regenfälle und heftigen Überschwemmungen im Nordosten Italiens vergangene Woche haben die Situation nicht verbessert. Die trockenen Böden konnten das Wasser nicht aufnehmen.

Ähnlich sieht es in Spanien, Portugal, Marokko und Algerien aus. In Spanien war es bei Rekordtemperaturen von fast 40 Grad schon Ende April extrem trocken. Zwar sei die Wetterlage nicht neu, sagt ntv-Wetterexperte Bernd Fuchs, aber "es ist im Schnitt oft um die fünf bis zehn Grad wärmer als sonst". In knapp einem Drittel des Landes herrscht ein Dürre-Notstand oder eine Dürre-Warnung. Das Grundwasser fällt und die Wasserreservoire sind leer - und damit immer häufiger auch die Felder von Europas Gemüsegarten. In vier Regionen werden die spanischen Landwirte nach mehreren Hitzewellen hintereinander gar keinen Weizen und keine Gerste ernten.

Hunderte Liter Trinkwasser landen im Abfluss

Auch bei uns in Deutschland ist der Boden in einigen Regionen schon jetzt teils sehr trocken, unter anderem auch in der Region Berlin und Brandenburg, zeigt der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Der Grundwasserspiegel in Berlin ist viel zu niedrig. Die Berliner Wasserbetriebe haben deshalb im April zum Wassersparen aufgerufen.

Es muss also aus verschiedenen Gründen dringend Wasser her. Eine Möglichkeit, die sich vor allem dort anbietet, wo große Häuser stehen, ist Wasserrecycling.

Jeder Mensch in Deutschland nutzt pro Tag rund 130 Liter Trinkwasser. Der größte Teil fließt in den Abfluss: beim Duschen oder Abwaschen. Anstatt das Wasser aus Badewanne, Waschbecken und Waschmaschine in die Kanalisation zu leiten, kann dieses Grauwasser wiederverwendet werden und viel Trinkwasser einsparen.

Wenn dieses sogenannte Betriebswasser für die Toilettenspülung genutzt wird, sei eine Einsparung zwischen 30 und 35 Prozent möglich, erklärt der Umweltingenieur Erwin Nolde im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Komme noch das Wäschewaschen dazu, könnten 50 Prozent eingespart werden. Über 50 Prozent Trinkwassereinsparung sei möglich, wenn das Betriebswasser auch zum Gießen genutzt wird. Je nach Verbrauch und Region kann ein Vier-Personen-Haushalt so mehrere Hundert Euro pro Jahr einsparen.

Wasser wird biologisch gereinigt

Nolde hat viele Jahre an der Technischen Universität Berlin zu Wasserrecycling geforscht. Mittlerweile ist er Chef einer Firma, die Grauwasserrecyclinganlagen plant, unter anderem für Wohnungsbaugesellschaften oder Studentenwohnheime. Das Prinzip der Recyclinganlagen ist einfach: Das benutzte Wasser, das Grauwasser, wird in einem zweiten Leitungsnetz in die Recyclinganlage im Keller geleitet und gereinigt.

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In einer Grauwasserrecyclinganlage kann die Wärme des Abwassers für die Trinkwasser-Vorerwärmung genutzt werden.

(Foto: Erwin Nolde)

Zunächst werden mit einem Sieb Störstoffe wie Haare herausgefiltert, dann folgt die Aufbereitung des Wassers. "Wir arbeiten rein mit einer rein biologischen Aufbereitung, ohne Zusatz von Chemikalien. Wir fügen dem Prozess nur Luftsauerstoff und die Mikroorganismen zu. Bei uns sitzen sie auf Schaumstoffwürfeln. Am Ende steht dann noch eine Desinfektion mit UV-Licht an", erläutert Nolde. Damit könne man das Betriebswasser zu einem sehr günstigen Preis produzieren.

Das gereinigte Wasser, das sogenannte Betriebswasser, läuft dann wieder zurück in die Wohnung. Es sieht aus und riecht wie normales Leitungswasser, sei sogar besser als das Wasser aus kommunalen Kläranlagen, sagt Nolde, und komme dem Trinkwasser sehr nahe. Die Qualität sei deutlich besser als es die EU-Richtlinie für Badegewässer erfordert.

Energiegewinnung per Wärmepumpe

Das Betriebswasser kann für alles genutzt werden, wofür Trinkwasser eigentlich viel zu schade ist: zum Putzen, um Gärten und Parks zu gießen oder eben für die Toilettenspülung. Gerade dafür geht etwa ein Drittel des täglichen Trinkwasserverbrauchs drauf, durchschnittlich fast 40 Liter.

Zusätzlich kann aus dem warmen Grauwasser, dem benutzten Wasser, auch noch Energie gewonnen werden, die ansonsten ungenutzt verpufft. Das Wasser aus der Badewanne oder der Dusche komme etwa 31 Grad warm in der Grauwasserrecyclinganlage an, so der Umweltingenieur, "und diese Wärmemenge kann man sehr gut auskoppeln über Wärmetauscher oder eine Wärmepumpe und diese Energie dafür nutzen, die Warmwasseraufbereitung energieeffizienter zu machen." Das etwa zehn Grad kalte Trinkwasser würde vorher erwärmt und so Energie gespart.

Mit diesem Prinzip werden in der größten Grauwasserrecyclinganlage in Berlin in einem neuen Studentenwohnheim in Berlin-Pankow jeden Tag 17.000 Liter Trinkwasser gespart und über 100 Kilowattstunden Wärme gewonnen, berichtet Nolde im "Wieder was gelernt"-Podcast.

"Starker finanzieller Nutzen"

Eine Grauwasserrecyclinganlage kostet etwa 20 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Nach etwa zehn Jahren haben Bauherren die Anschaffungskosten wieder raus. Weil weniger Wasser und Energie verbraucht wird, zahlen die Mieter auch weniger Nebenkosten.

Die Anlage lohne sich vor allem für mehrgeschossige Häuser mit mindestens 50 Bewohnern, sagt Nolde: "Wenn wir 400, 500 Leute dran angeschlossen haben, wie beispielsweise im Studentenwohnheim oder im mehrgeschossigen Wohnungsbau, dann ist da wirklich ein starker finanzieller Nutzen dabei. Es ist wirklich dumm, das nicht zu machen."

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Vor allem im Neubau ist der Einbau sinnvoll, weil dann das zweite Leitungsnetz gleich mitgeplant werden kann. "Wer heute neu baut, und das nicht realisiert, der wird es wahrscheinlich in zehn oder 15 oder 20 Jahren ganz bitter bereuen", meint Nolde. Aber auch im Altbau ist der Einbau einer Grauwasserrecyclinganlage möglich. Statt die Wände aufzustemmen, können die Wasserrohre beispielsweise auch außen in der Dämmung verlegt werden.

Obwohl das Wasser aus Grauwasserrecyclinganlagen deutlich besser ist als geklärtes Wasser, wird ihr Potenzial kaum genutzt. Deutschlandweit gibt es laut Bundesverband für Betriebs- und Regenwasser auf ntv.de-Anfrage nur wenige Anlagen. In ganz Berlin sind es gerade einmal rund zehn. Auch in den trockenen Regionen in Südeuropa könnten Wasserrecycling-Anlagen helfen. Einige Hotels im Nordosten Spaniens haben schon welche eingebaut und versorgen die Hotelgäste seit Jahren schon mit recyceltem Wasser.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+ Musik, Apple Podcasts und Spotify. "Wieder was gelernt" ist auch bei Amazon Music und Google Podcasts verfügbar. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Quelle: ntv.de

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